Direkte oder dirigierte Demokratie
Anmerkungen zu "street credibility" der Politik.
Eine alte Weisheit aus dem Geschäftsleben besagt: All business is local – erfolgreiche Geschäfte werden vor Ort gemacht. Im Sinne einer gelebten Demokratie gilt das auch für die Politik, die wächst ebenfalls von unten nach oben.
Das mag im Zeitalter der Massenmedien naiv klingen. Aber es geht. Man denke an den kontinuierlichen Erfolg der KPÖ in Graz. Der ist weniger einer marxistischen Programmatik geschuldet als dem, was man auf Neudeutsch "street credbility" der Protagonisten nennt. Präsenz vor Ort, Aufnehmen von Anliegen und Lösen von alltäglichen Problemen unter Verwendung der politisch verliehenen Machtposition – das sind die Zutaten für eine erfolgreiche politische Karriere.
Das Volk ...
Das Volk ist nicht dumm, es wird nur für dumm verkauft, leider manchmal sehr erfolgreich. Die medial inszenierten, reißerischen Themen der Populisten haben wenig mit den alltäglichen Sorgen der Menschen zu tun, aber sie können deren Ängste und Sorgen befeuern.
Eine lebendige Demokratie hingegen würde die Menschen in die Lage versetzen, das, was sie vor Ort bedrückt, politisch folgenreich in Worte zu fassen. Das wäre eigentlich eine Aufgabe der politischen Parteien. Die aber sind zu Machtapparaten geworden, die den Staat in Geiselhaft genommen haben. Lokale Probleme entstehen nie allein und unvermittelt, sie verweisen immer auch auf größere politische, ökonomische Zusammenhänge, die ihnen Form und Dringlichkeit geben. Sie manifestieren sich zunächst oft in diffusem, wortlosem Unbehagen, das ein jeder einzeln und für sich empfindet.
... ist nicht ...
Erst der direkte Austausch mit anderen macht daraus ein politisches Anliegen. Wird hingegen dieses individuell erfahrene Unbehagen im Brennspiegel populistischer Erregung gefangen, dann entsteht jene dunkle politische Energie, vor der zu Recht gewarnt wird. Das ist weder direkt noch demokratisch, sondern dirigistisch und demagogisch.
Berufspolitiker fürchten sich vor Themen, die von unten nach oben wachsen, denn mit ihnen kommen Konflikte auf die Tagesordnung, die im eigentlich Sinne politisch bearbeitet werden müssten. Konflikte, in denen widerstreitende Interessen aufeinandertreffen, Verteilungs- und Knappheitsprobleme sichtbar werden, Zukunftsfragen nach Antwort verlangen.
Auf manche dieser Fragen gibt es keine eindeutigen Antworten, manche Konflikte verlangen nach Lösungen außerhalb des eigenen Macht- und Handlungsbereichs oder erfordern Schritte, die mit unmittelbaren Kosten, mit Verzicht, mit Bereitschaft zur Veränderung verbunden sind.
Solche Einsichten in das Wesen des Politischen könnten eine in lokalen Foren an scheinbar lokalen Fragen wachsende direkte Demokratie fördern. Damit einher ginge dann aber auch eine Nötigung zur Selbstverpflichtung aller Beteiligten, denn der wohlfeile Verweis auf "die da oben" hilft nicht weiter, wenn die da oben genötigt werden, herabzusteigen und sich der Kontroverse zu stellen. Könnten die Bürger medial überfütterter Gesellschaften, lange in der Lethargie passiver Frustration gefangen, aus ihrem Ärger den zivilgesellschaftlich gebändigten, politischen Eros entwickeln, auf denen eine direktere Demokratie angewiesen ist?
... dumm
Mit etwas Unterstützung sicher, und wenn es gelingt, könnte man die Worthülsen und Gemein (wohl)plätze der politischen Rhetorik dem Härtetest der Konfrontation mit der praktischen Vernunft der Bürger vor Ort unterziehen. Dort sähe man sie dann wie Seifenblasen zerplatzen.
Dieser Artikel erschien in Der Standard, am 16.01.2018 als Kommentar der Anderen.