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Von Fakes und Fakten

Die allgemeine Erregung über den Verfall der Sitten in Sachen Objektivität, Wahrheit und Tatsachen übersieht eine Reihe von wichtigen Differenzierungen, die das Problem und die Diskussion über Fake and Facts, Lügen und Wahrheit greifbarer machen können. Natürlich kann die schlichte und militante Ablehnung von allgemein anerkannten Wahrheiten auch Ausdruck einer gegen jegliche Vernunft resistenten Haltung sein. Aber diese Fälle, die im Spektrum zwischen einem credo quia absurdum Fanatismus und Persönlichkeitsstörung angesiedelt sind, sollte man als unheilbar beiseitelassen. Darüber hinaus ist es hilfreich zu differenzieren.

Wir haben im Lauf der historischen Entwicklung unterschiedlicher Formen des Redens, Denkens und Problematisierens gelernt, dass es sinnvoll ist, differenziert auf die wichtigen Fragen des Lebens zu antworten. Wissenschaft hat sich irgendwann von der Religion abgespalten, die Philosophie von der empirischen Forschung und die verbleibenden Fragen der Selbsterkenntnis bearbeitet die Kunst in ihren diversen Ausprägungen von Literatur bis Malerei. Zudem liefert die Idee der demokratischen Politik eine Reihe weiterer Anhaltspunkte für die Organisation von Kontroversen und die Lösung dort anfallender strittiger Fragen darüber, wie Menschen zusammenleben sollen.

In den einzelnen Bereichen gelten verschiedene Kriterien dafür, was jeweils als wahr, angemessen, aufrichtig und angemessen gelten sollte und wie darüber zu entscheiden ist.

Eine wissenschaftliche Tatsache kann mit Anspruch auf Wahrheit auftreten, wenn die darin enthaltene Behauptung sich mit den anerkannten Methoden der Wissenschaft immer wieder und öffentlich demonstrieren lässt. Wasser kocht bei 100 C und wer das nicht glaubt, dem kann ich es beweisen, indem ich mit Hilfe eines Kochtopfs, einer Herdplatte und einem Thermometer demonstriere, dass es sich so verhält. Es macht wenig Sinn zu fragen, ob wir das gut oder schlecht finden, skandalös oder hinterhältig – es ist einfach so, ob es einem passt oder nicht.

Anders verhält es sich mit der Bewertung eines Kunstwerks. Ist dieser Roman, ist jenes Bild oder Musikstück schön, abstoßend oder geschmackvoll? Darüber lässt sich trefflich streiten und ein jeder, der dazu eine Position einnimmt, kann dazu seine Meinung vorbringen, möglichst untermauert mit Verweisen darauf, was genau sein Urteil begründet. Da hilft kein Messen, Wiegen oder Zählen, kein Experiment und keine wissenschaftliche Theorie sondern hier geht es darum, wie sich Hörer, Leser oder Betrachter als authentische Person mit ihren Empfindungen zu dem jeweiligen Artefakt in Beziehung setzen.

Bei den logischen und mathematischen Wahrheiten wiederum hängt viel vom Kontext ab. Die Aussage, dass 2+2=4 ist stimmt unter bestimmten Voraussetzungen, aber z.B. nicht unbedingt in der Mengenlehre. Dort kann 2+2=3 sein, wenn ein Element in der gemeinsamen Schnittmenge liegt und ein logisch-formal widerspruchsfreies System von Aussagen wird erst dann interessant, wenn ich den darin enthaltenen Termen eine Bedeutung zuordne, die sie mit der richtigen Welt in Beziehung setzt.

Und wie verhält es sich mit den Geltungsansprüchen politischer Maximen, mit Gesetzen und den Regeln des Zusammenlebens. Helfen da Empfindung, Experimente, Logik weiter? Immanuel Kant verdanken wir hier eine pfiffige Lösung in der Verschränkung von Volkssouveränität und Vernunft. Zwar könne ein jeder, so Kant, gegenüber einem anderen, wohl kaum aber gegen sich selbst Unrecht tun. Das scheint plausibel, wenn wir von Zurechnungsfähigkeit und Aufrichtigkeit des Individuums ausgehen. Dann aber, so Kant weiter, müsste ein allgemeines Gesetz, dem ein jeder zustimmen würde, wohl als vernünftig gelten. Wenn wir also davon ausgehen, dass sich die Bürger (nicht über anonyme Einwürfe in den Chatrooms des Internet, sondern von Angesicht zu Angesicht) zu Wort melden und darüber diskutieren, welche Lösung eines gegebenen Problems einem jeden gerecht würde, dann wäre das Ergebnis richtig, vernünftig und angemessen. Das lässt sich nicht von oben dekretieren oder mit der Autorität der Besserwisserei entscheiden, denn, wie Hannah Arendt es einmal treffend formulierte, sei der Löwe zwar durchaus ein legitimes Objekt der Zoologie, aber die Löwen gingen eben nur die Löwen etwas an. Und das sollte für den und die Menschen ebenso gelten.