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Die Polizei ersetzt den Geheimdienst nicht

Die Aufgaben eines Geheimdienstes beschränken sich nicht auf die Ausforschung von Terroristen, wie oft plakativ dargestellt wird. Als Frühwarnsystem hat er demokratiesichernde Funktionen, die unabhängig von der Polizei ausgeübt werden müssen

Die Forderung nach einem eigenständigen Inlandsgeheimdienst stand als Alternative bei der letzten Reform des Sicherheitspolizeigesetzes zur Debatte. Es kam bekanntlich anders. Man wählte die österreichische Variante und ließ die Dinge beim Alten. Zwar gibt es nun neben dem Sicherheitspolizeigesetz ein neues BVT Gesetz, aber an der problematischen Struktur des Bundesamts für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) als einer Polizeibehörde mit geheimdienstlichen Aufgaben hat sich nichts geändert.

Diese Zwitterkonstellation ist problematisch. Polizeiliche Aufgaben sollten in einem Rechtsstaat klar definiert und an enge rechtliche Eingriffsvoraussetzungen gebunden sein. Geheimdienste hingegen sollten in der Lage sein, Informationen aus den unterschiedlichsten Quellen mit einer Vielzahl von Methoden zu sammeln und auszuwerten. Der Geheimdienst eines demokratischen Staates hat die Aufgabe eines Frühwarnsystems. Exekutivische Befugnisse stehen ihm nicht zu. Die fallen in den Bereich der Polizei.

Das sind unterschiedliche Aufgaben, die je spezifische Formen der Organisation, der Steuerung, der rechtlichen Verankerung, der personellen und technischen Ausstattung erfordern. Geheimdienste liefern Gefährdungsdiagnosen, Polizeibehörden nehmen Tatverdächtige fest und führen sie der Staatsanwaltschaft zu. Polizeilicher Staatsschutz ist notwendig, aber ersetzt geheimdienstliche Tätigkeit nicht.

Eine solche Trennung hat sich in vielen europäischen Ländern bewährt, und die bei der Diskussion über die Reform des österreichischen BVT beteiligten Experten aus Deutschland und der Schweiz haben – vergeblich – dafür plädiert. Natürlich steckt der Teufel im Detail. Die Blamage der deutschen Geheimdienste im Fall des NSU hat die Schwachstellen und blinden Flecken des Verfassungsschutzes deutlich gemacht. Dabei wurde aber auch deutlich, dass ein demokratisch-rechtsstaatlichen Prinzipien verpflichteter Verfassungsschutz eher wie ein Marktforschungsinstitut oder Start-up-Investor und nicht wie eine klassische traditionelle Polizeibürokratie operieren sollte.

Es geht um das frühzeitige Erkennen und Analysieren von gesellschaftlichen Veränderungen und Risiken im Vorfeld des polizeilichen Zugriffs. Die Schnittstelle zwischen diesen beiden Bereichen muss klar definiert und transparent sein. Das heißt dann, bezogen auf konkrete Fälle: Verdichten sich auf der Seite der Verfassungsschützer die Hinweise auf ein strafrechtlich relevantes Verhalten, wandert der Fall zur Polizei. Dort gelten das Sicherheitspolizeigesetz und die Strafprozessordnung.

Moderner Verfassungsschutz hat aber nicht nur fallbezogene Aufgaben. Als Frühwarnsystem sollte eine solche Behörde auch die Politik mit "Intelligence" versorgen, mit Risiko- und Gefährdungsanalysen, mit Hinweisen auf Gefahren, die politisches Handeln erfordern. Gefahren und Risiken, die als Gefährdung der in der Verfassung verankerten Grundlagen des Gemeinwesens gelten können, lassen sich nicht auf das im Boulevard gepflegte Bild des Terroristen reduzieren. Sie lassen sich auch nicht auf das Territorium des Nationalstaats begrenzen. Themen wie Industriespionage, die Verletzlichkeit kritischer Infrastrukturen oder die Entstehung von neuen Formen von Protest jenseits der bekannten Gruppierungen sollten auf dem Radar des modernen Verfassungsschutzes sein.

Stattet man eine solche Behörde mit den entsprechenden Ressourcen aus und fasst die Aufgabenstellung entsprechend, so wäre nicht nur die Polizei von Aufgaben entlastet, die Qualität der Information der politisch Verantwortlichen könnte verbessert werden und – im besten Fall – ließe sich auch die Diskussion über das Repertoire möglicher Reaktionen auf Bedrohungen verbessern. Das allerdings setzte voraus, dass man eine solche Organisation freihält von politischer Einflussnahme. Hier jedoch sind Zweifel angebracht. Ein Land, in dem politische Parteien und ihre Netzwerke die staatliche Verwaltung in Geiselhaft genommen haben, bietet schlechte Voraussetzungen für einen professionellen Geheimdienst.

 

Dieser Artikel erschien in Der Standard, am 04.10.2017, als Kommentar der Anderen.